Antonius und Spartacus

 

Informationen zur Geschichte:

Eine Präsentation des Forschungsinstituts "Andishe Online Germany (AOG)"

Auszug aus dem Buch "Das Wunder von Guadalupe“

Autor: Faramarz Tabesh

Fertigstellungs-/Veröffentlichungsdatum der persischen Originalfassung: Winter 2004-2005/03.03.2019

Erscheinungsdatum der deutschen und englischen Version: 01. Januar 2025

Der folgende Text wurde von Faramarz Tabesh aus dem Persischen (Farsi) ins Deutsche übersetzt.


 






„„Diese Geschichte ist eine persönliche Interpretation dessen, was wirklich passiert ist.

Antonius und Spartacus



Nachdem die Anti-Sklaverei-Bewegung von Spartacus, der selbst Sklave war, scheinbar besiegt worden war, wurde er zusammen mit einigen seiner Anhänger und auch Antonius, dem berühmten römischen Dichter, verhaftet und wie Christus an den nebeneinander aufgestellten Kreuzen gekreuzigt.

An jenem Sommernachmittag, als die Sonne am anderen Ende des Himmels fieberhaft rot und gelb leuchtete, wurden diese beiden großen Männer der Geschichte durch Zufall oder durch eine geschickte Fügung des Schicksals staubig und blutig gekreuzigt. Inmitten dieser Situation wirkten sie so erhaben. Wer weiß, was hätte passieren können. Es ist, als ob die Geier und Aasfresser, die so glücklich sind, auf den Tod der anderen warten und nicht auf ihren eigenen, oder vielleicht haben diese beiden berühmten Männer ihrer Zeit den Tod in die Hände des Vergessens gelegt.

Antonius dichtete neue Gedichte oder rezitierte solche, die er schon früher geschrieben hatte. Der Klang seiner Stimme konnte jeden in seinen Bann ziehen und ihn in ferne Illusionen und süße Träume versetzen.

Wenn Antonius‘ Freunde ihn in diesem Zustand erlebten, hielten sie ihn für einen anderen Menschen. Ein Mensch, der unendlich freundlicher war, als er war, ein Mensch mit einer neuen Natur.

 

An diesem hölzernen Kreuz war Antonius, obwohl er dem Tode nahe war, hundertmal poetischer geworden, und es war, als hätte er die Grenzen des Daseins bereits überschritten und sich den Grenzen der Ewigkeit genähert.

Vor allem das schöne Licht, das aus seinen Augen strahlte, verlieh seinem Gesicht eine besondere Kraft und Würde.

Obwohl er viel Blut verloren hatte, weil seine Hände und Füße ans Kreuz genagelt waren, gab ihm der letzte Widerschein des Sonnenlichts ein heiliges Antlitz.

Er beklagte sich über nichts und dachte nicht daran, dass er alles verloren hatte, denn er hörte aus seinem Inneren eine unendlich schöne und klangvolle Poesie. Er war ruhig, und sein Gesicht zeigte nicht die geringste Spur von Ungeduld oder Sorge.

Antonius dichtete und sang, aber diesmal dufteten seine Gedichte nicht nur nach Flüssen, Ebenen und Blumenfeldern, sondern nach etwas Wichtigerem. Manchmal wandte er sich an seinen Freund Spartacus, um ihn nach seiner Meinung zu seinem Gedicht zu fragen, und wieder, nachdem er die positive Antwort seines Freundes gehört hatte, war er weit und tief weg, als würde er sich in völligem Frieden verlieren und in einen fernen Gedanken versinken. Es war, als würde er von irgendwoher gerufen oder als würde er einer sehr interessanten Szene beiwohnen.

Spartacus hatte jahrelang Leid und Elend in Gefangenschaft und Sklaverei erfahren, und dieser Schmerz und dieser Druck hatten ihm ein starkes Gesicht gegeben. Doch was jetzt mehr denn je in den tiefen Falten seines Gesichtes zum Vorschein kam, war eine unbeschreibliche Reife, die jeden Betrachter anzog und beeindruckte. Es war, als hätte er die Schleier in den Tiefen seiner Seele zerrissen, um die Tatsachen ohne Hindernisse zu sehen. Er betrachtete absolute Ruhe, Erhabenheit und Herrlichkeit, so wie ein weiser Zuschauer, der seine Emotionen vollkommen unter Kontrolle hat, einzigartige und verträumte Filmszenen betrachtet.

 

Spartacus war geistig nicht verfügbar, als wäre er in dem Augenblick, in dem er die Tiefe dieser Größe begriffen hatte, so überrascht gewesen, dass die Taube seines Geistes aufgehört hatte zu fliegen.

Auf seinem Gesicht waren derselbe Friede und derselbe Glanz zu sehen wie auf dem Gesicht des Antonius. Aber der Friede, der um sie herum herrschte, der eigentlich durch den inneren Frieden der beiden Männer geschaffen worden war, wurde von Zeit zu Zeit durch eine Frage unterbrochen, die hauptsächlich von Antonius kam.

In der heißen, stickigen Luft dieses blutigen Sonnenuntergangs jubelten einfache, unwissende Menschen unter den gekreuzigten Kreuzen.

Einige knieten nieder und dankten Gott, dass sie nicht zu den Gefangenen gehörten, andere malten sich ein Kreuz ins Gesicht und baten Gott um Vergebung für die Aufständischen am Kreuz. Das war ihrer Meinung nach das Beste, was sie für die Schuldigen tun konnten.

Ist nicht Christus selbst, wie die Männer am Kreuz, für die Hilflosen und Leidenden eingetreten?

Andere, oft Intellektuelle, bedauerten das Scheitern der Sklavenbefreiungsbewegung, die Gefangennahme ihrer Anführer, insbesondere von Spartacus, und drückten ihre Trauer über das Ende der Bewegung aus. Diese Leute stellten intellektuelle Thesen über die Möglichkeit auf, den Kampf fortzusetzen oder eine andere Gruppe zu diesem Zweck zu bilden.

Man darf natürlich nicht vergessen, dass diese Diskussionen sehr leise, im Flüsterton, geführt wurden und sich auf intellektuelle Kommentare beschränkten. Denn diese Leute wussten sehr wohl, dass Superman, der Held dieses Spiels, persönlich am Kreuz hing.

Wer konnte also in dieser Situation eine neue Bewegung ins Leben rufen, die nicht nur alle Merkmale von Spartakus aufwies, sondern noch ein wenig mehr?

Jedenfalls blieb nichts anderes übrig, als von diesen lässigen und anmaßenden Rednern zu sprechen. Interessant ist, dass selbst diejenigen, die sich der Bewegung anschlossen und aus irgendeinem Grund den Händen der Regierungsagenten entkamen und inmitten der Menge den Fuß der Kreuze erreichten, sich der einzigartigen inneren Atmosphäre dieser beiden Männer nicht bewusst waren. Deshalb begannen sie in ihren Herzen für ihre sterbenden und leidenden Gefährten zu beten und Gott zu bitten, sie so schnell wie möglich von den Schmerzen und Leiden dieser Welt zu befreien oder zumindest zu lindern, obwohl die beiden Männer gar keine Schmerzen mehr verspürten, sondern sie in einer nie gekannten geistigen Ekstase erlebten. Für die materiell denkenden Menschen unter den Kreuzen war das natürlich unverständlich.

Jedenfalls versuchten diese Menschen mit ihren einzigen Mitteln, der Vernunft und dem Gebet, ihre Solidarität mit den gleichgesinnten Freunden am Kreuz auszudrücken.

Währenddessen verfluchten andere unsere Helden und baten Gott, sie in die Hölle zu schicken, während sie mit Verachtung und Hass auf ihre halbtoten Körper blickten.

Einige naive und unwissende Leute, die das Wesen der Sache überhaupt nicht verstanden und sich in solchen Fällen nie die Mühe machten, dieses oder irgendein anderes Geschehen zu begreifen, diejenigen, die im Grunde überhaupt nicht fähig waren zu denken, bewarfen die Gekreuzigten mit Steinen, nur um die Soldaten zu befriedigen, und vergnügten sich dann mit Obszönitäten und verwerflichen Vergnügungen.

Die tiefe, glückselige Welt ohne Angst und Furcht, die die Gekreuzigten am Kreuz erlebten, war ganz anders als die Welt des Schmerzes, der Erniedrigung und der Illusionen der einfachen Leute unter den Kreuzen. Aber nur Spartacus und Antonius waren sich dieses Unterschieds bewusst, und sie dachten weniger darüber nach, denn die Leidenschaft und die Ruhe, die über ihnen herrschten, hatten jede Zelle ihres Körpers und ihres Geistes in eine königliche Entspannung versetzt. Es war eine Atmosphäre, die ihnen eine endgültige Befreiung verkündete, und niemand außer diesen beiden Männern konnte ihre innere Schönheit verstehen.

 

An diesem schönen Abend, als sich der Himmel zu verdunkeln drohte, murmelte Antonius vor sich hin Verse aus einem seiner Gedichte, in denen der Gedanke an Tod und Sterben verborgen war. Er hatte es vor vielen Jahren in seiner Jugend geschrieben, und jetzt, in diesen letzten Momenten seines Lebens, erinnerte er sich auf wundersame Weise daran. Plötzlich, als sei ihm etwas in den Sinn gekommen, wandte er sich an Spartacus und fragte fragend:

 

„Hast du Angst vor dem Tod?“

 

Vielleicht war es das erste Mal, dass Antonius wirklich über den Tod nachdachte, oder weil er sich in diesem unbeschreiblichen Zustand an der Grenze zwischen Leben und Tod befand, fragte er mit dieser Frage tatsächlich nach der inneren Vision seines großen Freundes. Vielleicht erlebte er in diesem wunderbaren Augenblick eine ihm bisher unbekannte Dimension des Seelendaseins und suchte nach einer Erklärung, um dieses Licht für sich bedeutsam zu machen.

 

Spartacus, dieser Held gegen die Sklaverei, wandte Antonius sein tapferes Gesicht zu und beantwortete die Frage seines Freundes mit lauter Stimme:

 

„Nein, den Tod fürchte ich nicht. Aber ich fürchte die Wiedergeburt.“

 

 

Auszug aus dem Buch "Das Wunder von Guadalupe“

Autor: Faramarz Tabesh

 

Faramarz Tabesh


Eine Geschichte aus dem Buch Wunder von Guadalup

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